Der Wald ist unser wichtigster Klimaschützer. Gleichzeitig ist er massiv vom Klimawandel und den Folgen betroffen. Trockenphasen, Brände, Stürme und Schädlinge haben ihm in den vergangenen Jahren massiv zugesetzt. Die vierte Bundeswaldinventur hat diesen alarmierenden Zustand eindrücklich bestätigt. Gleichzeitig hat sie eine Diskussion über die Einordnung seiner CO2-Senkenleistung ausgelöst.
Das Klimaschutzgesetz legt fest, dass bis 2030 die Senkenwirkung des LULUCF-Sektors (Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft), der maßgeblich von der Kohlenstoff-Speicherung des Waldes abhängt, 25 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (40 Millionen bis 2045) erreichen soll. Allerdings berücksichtigt das Gesetz derzeit nur die Kohlenstoff-Speicherung und die inländische Nutzung von Holzprodukten – nicht aber den Ersatz fossiler Rohstoffe durch Holz oder den Export von klimaschonenden Holzerzeugnissen.
Der Wissenschaftliche Beirat für Waldpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium (WBW) hat vor dem Hintergrund der Klimakrise und der Ergebnisse der jüngsten BWI in seiner Stellungnahme gefordert, die Senkenziele des Land- und Forst-Sektors im Klimaschutzgesetz an die Realität anzupassen. Warum der WBW zu dieser Einschätzung gekommen ist, haben wir Dr. Marcus Lindner, Wissenschaftler am European Forest Institute (EFI) und Mitglied des WBW, gefragt.
Wald ist Klimaschützer (WiK): Sie arbeiten beim European Forest Institute und sind Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat für Waldpolitik (WBW) beim BMEL. Was bedeutet neben der beruflichen Seite der Wald für Sie persönlich?
Dr. Marcus Lindner (ML): Ich habe fast immer in unmittelbarer Nähe zu Wald gewohnt, habe mein ganzes Leben viel Zeit im Wald verbracht zur Erholung, um Brennholz zu beschaffen oder um Pilze zu sammeln. Außerdem trage ich einen Waldbaum in meinem Nachnamen.
WiK: Seit Veröffentlichung der Bundeswaldinventur gibt es eine Diskussion über den Beitrag des Waldes zum Klimaschutz. Als WBW haben sie die im Klimaschutzgesetz festgelegten CO₂-Senkenziele als unrealistisch kritisiert. Warum passen die dort definierten Größen nicht mehr zur Realität?
ML: Eine effiziente Klimaschutzstrategie muss nicht nur die LULUCF relevanten Ökosysteme – insbesondere Wälder und Moore – berücksichtigen, sondern sektorübergreifend die gesamte Klimaschutzleistung durch Wälder, Holzproduktspeicher und Substitution fossiler Energien und energieintensiver Baustoffe berücksichtigen. Dazu zählt beispielsweise die Klimaschutzleistung durch die erhöhte Verwendung von lokalem Holz im Bauwesen.
WiK: „Ein statisches Gesetz ist wenig geeignet“, haben Sie als WBW mit Blick auf die Ausgestaltung des Klimaschutzgesetzes gesagt. Was muss aus Ihrer Sicht konkret passieren, um eine realistische Betrachtung der Senkenleistung des LULUCF-Sektors zu erreichen und den Wald nicht zu überfordern?
ML: Die Senkenleistung im LULUCF Sektor wird insbesondere durch Moorschutz und Waldbewirtschaftung gesteuert. Statische LULUCF Ziele in Deutschland könnten nur durch massive Einschränkung der Holznutzung erreicht werden. Das würde aber zwangsläufig zu weniger Senkenleistung in Holzprodukten führen, zu Leakage durch vermehrte Holzimporte aus dem Ausland und erhöhten Emissionen in anderen Sektoren, unter anderem im Energiesektor und Bauwesen. Es wird daher vom WBW empfohlen, dass die LULUCF Senkenleistungen in die sektorübergreifende Gesamtrechnung und aggregierte Betrachtung des Klimaschutzgesetzes einbezogen werden, die für alle anderen Sektoren auch gelten.
WiK: Was sind aus Ihrer Sicht die möglichen Folgen und Gefahren, wenn die CO₂-Senkenziele im Klimaschutzgesetz weiter überschätzt und nicht angepasst werden? Was würde das für die nachhaltige Forstwirtschaft in Deutschland und den Klimaschutz insgesamt bedeuten?
ML: Eine Einhaltung der Senkenziele ist unrealistisch. Die erforderlichen Nutzungseinschränkungen würden dazu führen, dass viele Wälder nicht mehr aktiv bewirtschaftet werden. Bedingt durch den Klimawandel und die damit verbundenen erhöhten Störungsrisiken durch Sturm, Insekten und Feuer ist die CO2 Speicherung in Waldökosystemen ausgesprochen volatil. Das Störungsrisiko steigt mit zunehmendem Baumalter, und aktive Waldbewirtschaftung ist auch imminent wichtig zur Prävention von zusätzlichen Kalamitäten, zum Beispiel Borkenkäferschäden oder Feuer nach Sturmwurf oder Trockenheit. Der enge Klimaschutzfokus auf den LULUCF Sektor ist nicht mit einer nachhaltigen Forstwirtschaft mit ihren ökologischen, ökonomischen und sozialen Konsequenzen vereinbar.
WiK: Sie sind für mehr Flexibilität, die Waldverbände fordern eine faire Gesamtbetrachtung des Waldes und seiner Leistungsfähigkeit. Was kann der Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Waldbesitzern zur Entwicklung realistischer und umsetzbarer Klimaschutzmaßnahmen beitragen?
ML: Die unterschiedlichen Klimaschutzwirkungen von Waldspeicher, Holzproduktspeicher und Substitutionspotentialen müssen zusammen analysiert werden. Wechselwirkungen mit anderen Sektoren müssen in die Entscheidungsfindung einfließen unter Berücksichtigung möglicher globaler Emissionen durch Leakage.
WiK: Welche Rolle kann und muss der Wald künftig als Klimaschützer spielen?
ML: Resiliente und klimaangepasste Wälder werden weiterhin eine überaus wichtige Rolle als Klimaschützer spielen. Sie sind weniger von Störungen betroffen als Nadelholz-Reinbestände. Und sie können nachhaltige Rohstoffe für andere Sektoren liefern, die damit ihre Klimaschutzziele besser erfüllen können.
WiK: Vielen Dank für das Interview!